PISA-Fiasko: Was läuft da falsch, Frau Lehrerin?

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Wie kann es sein, dass ein Viertel der Jugendlichen nicht mehr sinnerfassend lesen kann? Österreichs Pädagogen kritisieren auf der Suche nach Antworten die Eltern, den Umgang mit neuen Medien und den Lehrplan.

Das Ergebnis der PISA-Studie ist für viele Lehrer ein Schlag ins Gesicht. Ihre Arbeit liefert nicht das gewünschte Ergebnis, wie nun ganz Österreich weiß: Rund 28Prozent der 15- und 16-Jährigen zählen in der Kernkompetenz Lesen zur Risikogruppe. Bei den Burschen sind es gar mehr als ein Drittel. Was läuft hier falsch? Liegt es wirklich nur am Umfeld und den Eltern? Oder doch am Unterricht? Sind einige Kinder gar hoffnungslose Fälle?

Betroffen – jedoch nicht überrascht. So reagiert Susanne Artner auf das Testergebnis. Sie unterrichtet seit 28Jahren an einer Wiener Volksschule. Die Leseschwäche ist dort schon lange Thema – besonders bei Schülern aus „bildungsfernem“ Elternhaus. Die Pädagogen versuchen, mit massiver Leseerziehung gegenzusteuern.

Denn Bücher haben bei Kindern nicht erst seit gestern einen schweren Stand: „Früher standen in den Lesebüchern Geschichten mit Bildern, doch das genügt den Kindern nicht mehr. Heute ist Fantasie dreidimensional.“ Beeinflusst von Computer und TV stellen Kinder neue Ansprüche, die Umsetzung hinkt hinterher. Deshalb gibt es nun auch neue Unterrichtsmaterialen. Auch interaktive Rätsel oder Partnerübungen stehen auf der Tagesordnung. Artner sieht schon erste Erfolge bei den Volksschulkindern: „Ein Buch zu kaufen wird wieder cooler.“

Unterstützung durch „Lesepaten“

Die Schule könne aber nicht alles kompensieren, was in den Elternhäusern schiefläuft. Diese Feststellung kommt unisono von der Lehrerseite, die sich zu Hause gute Vorbilder wünschen. „Den Computer haben die Kinder, aber ihnen fehlen Eltern, die ihnen vorlesen“, sagt auch Gerda Reissner. Sie ist Deutschlehrerin an der KMS Schopenhauerstraße in Wien-Währing. Einer Schule, an der Integration das große Thema ist. Denn fast alle Schüler haben Migrationshintergrund, viele kommen aus sozial schwachen Familien.

„Nicht wenige unserer Schüler schaffen bei Lesetests nicht einmal das Minimum“, sagt Reissner. Die Kinder beherrschen den Lehrstoff nicht, man müsste viel stärker auf einzelne Schüler eingehen. Ohne Unterstützung von außen ist das kaum zu bewältigen. Reissner hat daher „Lesepaten“ engagiert – bemühte Nachbarn, die mit schwächeren Schülern üben. Schwächen sieht sie auch im Lehrplan: „Dass der zweite Konjunktiv dort immer noch oberste Priorität hat, kann ich nicht verstehen. Ich würde die heilige Kuh Grammatik schlachten.“

Ganz so dramatisch ist die Situation an den Gymnasien nicht, aber selbst die Lehrer dort beklagen Verschlechterungen bei der Lesekompetenz. Gerhard Theissl, Deutschlehrer am Theresianum in Wien, ist vor allem über die Auswirkungen des Medienkonsums der Jugendlichen besorgt: „Das iPhone ist für viele Jugendliche zum Kommunikationsmittel Nummer eins geworden. Dabei spielen Groß- und Kleinschreibung oder der Satzbau keine große Rolle, das macht sich auch im Unterricht bemerkbar.“

Zufrieden mit seinen Schülern ist beim „Presse“-Rundruf nur ein Lehrer: Bernhard Hutter, Direktor an der Volksschule Pfarrwerfen im Pongau. „Unsere Kinder können gut lesen“, sagt er. Dies würden auch die Lese-Screenings bestätigen, die in den dritten Klassen durchgeführt werden. „Bei PISA wirkt sich wohl auch ein West-Ost-Gefälle aus“, glaubt Hutter.

Ein bitterer Beigeschmack

An seiner Schule sei die Bibliothek gefragt wie nie, von 100Schülern würden 75 regelmäßig Bücher entlehnen. Im Unterricht setze man die richtigen Schwerpunkte. Statt um fehlerfreies, lautes Lesen geht es um Textverständnis – jenen Bereich, in dem die Jugendlichen bei PISA ganz besonders schlecht abschnitten. Die Motivation zu lesen versuche man durch Maßnahmen wie das Salzburger Lesefrühstück zu steigern (siehe Artikel unten). Die PISA-Ergebnisse sieht er vor allem in den Testbedingungen begründet – etwa dem Umstand, dass in Österreich auch Berufsschüler teilnehmen. In vielen Ländern gibt es Schultypen, in denen tendenziell Leistungsschwache zusammengefasst werden, nicht.

Trotz des Glaubens an die eigenen Schüler bleibt bei Hutter ein bitterer Beigeschmack: Die Anerkennung der Lehrer sei durch PISA wieder gesunken. ros/beba/j.n.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2010)

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