Bildungsstandards: „Keine Bestätigung für AHS“

(c) APA ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
  • Drucken

Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) warnt die Leistungsträger, nicht auf soziale Randgruppen zu vergessen: Sonst drohen Österreich bald Kriminalität und ökonomischer Verfall.

Die Presse: „Ein Badezimmer hat eine Bodenfläche von 7,2 Quadratmetern. Eine Packung Fliesen reicht für 1,2 Quadratmeter. Wie viele Packungen Fliesen benötigt man mindestens?“ – Rund 43 Prozent aller 14-Jährigen können triviale Fragen wie diese „nicht“ oder nur „teilweise“ lösen. Wie geht es Ihnen da als verantwortliche Ministerin?

Claudia Schmied: Hören Sie bitte damit auf, diese beiden Gruppen zu addieren. Das ist nicht richtig. 17 Prozent haben die Bildungsstandards nicht erreicht.

Was, bitte, sagt es denn über die Leistung eines Schülers, wenn er selbst die Mindeststandards nur „teilweise“ erfüllt.

Wer sie „teilweise“ erfüllt, der hat zumindest die Kompetenzstufe eins erreicht. Und kann damit Beispiele wie das eben genannte, die dieser Kompetenzstufe zugeordnet sind, lösen. Unser Ziel muss es sein, dass in Zukunft jeder Schüler zumindest diese Kompetenzstufe eins, also dieses „teilweise erreicht“, schafft. Das muss die Untergrenze sein. Die 17 Prozent, die derzeit die Standards gar nicht erfüllen, die müssen wir auf null Prozent bringen.

Dann ein anderer Auszug aus den Ergebnissen: In Wien haben 51 Prozent in den Haupt- und Neuen Mittelschulen die Standards gar nicht erfüllt. „Übertroffen“ hat sie gar niemand. Da haben wir ein Problem.

Ja. Sie müssen mich nicht davon überzeugen, dass wir ein Problem haben. Das sehe ich. Natürlich bin ich mit den Zahlen nicht zufrieden. Damit kann man gar nicht zufrieden sein. Wenn ich mir vorstelle, dass all diese getesteten Schüler in 15 bis 20 Jahren bestimmen, wie es um die Wirtschaft, den sozialen Frieden und die Demokratie in unserem Land steht, dann haben wir dringenden Handlungsbedarf.


In den Städten schaut es besonders schlecht aus.

In den Ballungszentren kommen mehrere Faktoren zusammen: Viel Migration, viele bildungsferne Eltern und sozial arme Menschen. Das Schulsystem kann derzeit diese Risikofaktoren nicht wettmachen. Da müssen wir ansetzen – und die Kinder früh fördern, damit jeder zumindest die Grundkompetenzen beherrscht. Sonst haben wir bald eine Bevölkerungsgruppe von 20 Prozent, die einfach den Anschluss verliert.

Frühförderung ist gut, wirkt aber eher mittel- bis langfristig. Was aber haben Sie mit dem getesteten Jahrgang und den folgenden vor, die noch nicht in den Genuss dieser Förderung kamen. Das sind verlorene Jahrgänge.

Wir brauchen jetzt sicher keinen Aktionismus, sondern konzertierte Maßnahmen. Durch die Bildungsstandards wird nun eine Schulentwicklung in Gang kommen, wie wir sie in dieser Dynamik noch nie hatten. Da wir das erste Mal flächendeckend getestet haben, gibt es keine Ausreden mehr. Jeder Schulstandort ist nun mit seinen Testergebnissen konfrontiert.

Wie sehen die konkreten Maßnahmen aus?

Es gibt ein Team von rund 500 Experten, die nun die Schulstandorte besuchen und im Umgang mit dem Testergebnis beraten. Die Schulen müssen sich rasch überlegen, wie der Unterricht so umgestaltet werden kann, dass die Schüler besser erreicht werden. Dazu braucht es pädagogische Maßnahmen, aber auch Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche. Darauf abgestimmt werden die pädagogischen Hochschulen an den Standorten weitere Fortbildungen und Schulungen abhalten. Die Lehrer müssen etwa noch besser lernen, mit Vielfalt und Mehrsprachigkeit umzugehen. Diese Herausforderung ist in der Stadt noch viel größer. Dort haben wir Schwerpunktschulen, auf die wir Rücksicht nehmen und die wir stärken müssen.

Man hat den Eindruck, es gehe in Österreich in der Schuldebatte immer nur darum, die Schlechtesten aufzufangen und – wie Sie es gerade formuliert haben – „Rücksicht zu nehmen“. Die Guten weiter zu fördern, sodass sie noch besser werden, darauf vergessen wir.

Nein, dieser Eindruck entsteht vor allem durch die Stoßrichtung Ihrer Fragen. Das Thema ist wichtig: Wir brauchen noch mehr Ergebnisorientierung und noch mehr Leistungsorientierung. Dazu haben Sie mein klares Bekenntnis. Eines meiner Ziele ist es daher, auch die Zahl jener, die etwa die erwarteten Leistungen bei den Bildungsstandards übertreffen, zu erhöhen. Da liegen wir derzeit bei fünf Prozent. Zehn Prozent sollten da künftig wohl aber drinnen sein.

Wie aber erklären Sie dann den Menschen, dass Sie die AHS-Unterstufe, die genau diese Leistungen nachweislich deutlich besser erbringt, abschaffen und durch eine Gesamtschule ersetzen wollen?

Es wäre ja allerhand, wenn die AHS-Unterstufe nicht besser abschneiden würde. Wenn ich mir vorher die Schüler aussuchen kann, dann kann man das wohl erwarten. Dass daraus manche eine Bestätigung des Gymnasiums ableiten, verwundert mich.

Ich versuche es anders: Wie wollen Sie Eltern, deren Kind in eine AHS geht und dort gut ausgebildet wird, überzeugen, dass sie das System verlassen sollen.

Wenn sich manche damit begrifflich leichter tun, können wir die Gesamtschule auch gerne „Gymnasium für alle“ nennen. Nur die Sekundarstufe zu betrachten, greift bei den Problemen, die wir bewältigen müssen, aber ohnehin zu kurz. Wir müssen in der Volksschule ansetzen, dort schon Chancen eröffnen und schauen, dass Bildungsarmut nicht vererbt wird.

Bei den Studien TIMSS und PIRLS schneiden auch unsere Volksschulen im internationalen Vergleich sehr schlecht ab – wir liegen mit unseren Leistungen hinter allen wirtschaftlich vergleichbaren Staaten zurück.

Da müssen Sie fair bleiben. Für den 6. Platz in der EU im Bereich Naturwissenschaften, in dem sich vieles verbessert, gebühren den Volksschulen frei nach Andy Warhol ihre 15 Minuten Ruhm. Nachholbedarf haben wir klar beim Lesen – auch hier verweise ich auf den gestiegenen Migrantenanteil. Wir werden uns die Volksschulen nun genau ansehen. Da dürfen wir in der Förderung nicht mit der Gießkanne vorgehen, sondern müssen auf die individuellen Bedürfnisse der Standorte stärker eingehen.

Die Leistungen der Volksschüler sind insgesamt auf niedrigem Niveau. Wäre ich ÖVP-Funktionär, würde ich nun sagen, dass die Volksschule als einzige österreichische Gesamtschule beweist, dass dieses Modell nur leidlich funktioniert.

Ein für alle Mal: Dieses Separieren und Segregieren mag einer Machts- und Herrschaftsideologie geschuldet sein, dient aber sicherlich nicht einer gesellschaftlichen Entwicklung, die auf Leistung und Solidarität beruht. Auch die Leistungsträger müssen sich um soziale Randgruppen kümmern. Sonst werden wir rasch nicht nur wirtschaftlich zurückfallen, sondern auch ein soziales und ein Kriminalitätsproblem haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

Wien verpflichtet Schulen zu mehr Tests

Die Ergebnisse von 15 verschiedenen externen Tests sollen in die Notengebung miteinbezogen werden. Im Wiener Stadtschulrat rechnet man mit deutlich mehr "Sitzenbleibern".
Meinung Bildung

Endlich! Check für Lehrer

Wiens Stadtschulratschefin reagiert auf katastrophale Testergebnisse von Kindern.
Wien Kuenftig sind Bildungstests
Schule

Wien: Künftig sind 15 Bildungstests verpflichtend

Ziel dieser Maßnahme sei, dass Schüler ihre Probleme nicht bis zum Ende der Schulpflicht mitschleppen, so Stadtschulratspräsidentin Brandsteidl.
Bildungsstandards Laender reagieren
Schule

Bildungsstandards: Wie die Länder reagieren

Mehr Fortbildung für Lehrer, ein Ausbau der Ganztagsschulen und ein vermehrtes Training von Multiple-Choice-Tests sind die Lehren, die aus den schlechten Leistungen bei den Bildungsstandards gezogen werden.
Kaernten bleibt weit unter
Schule

Kärnten bleibt weit unter den Erwartungen

Die soziale Herkunft der Schüler und der Migrationshintergrund beeinflussen die erwartbare Leistung von Schulen und Regionen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.