Keine Kontrolle über Stand der Sprachkenntnis

Keine Kontrolle ueber Stand
Keine Kontrolle ueber Stand(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Der Bund investiert fünf Millionen Euro im Jahr in die sprachliche Frühförderung. Wie viele Kinder diese tatsächlich brauchen, weiß aber niemand so genau.

Fünf Millionen Euro jährlich bis 2014: So viel investiert der Bund in die sprachliche Frühförderung von Kindern. Mit diesem Geld – das in die einzelnen Länder fließt – sollen Fördermaßnahmen für Drei- bis Sechsjährige mit Sprachproblemen finanziert werden. Jeden Euro, den die Länder vom Bund bekommen, müssen sie selbst auch nochmal in die Sprachförderung investieren. Doch wie viele Kinder in Österreich tatsächlich eine Sprachförderung benötigen, weiß niemand so genau – trotz Millionenausgaben.

Das Problem: Niemand sieht die Erhebung oder Sammlung der Daten im eigenen Kompetenzbereich. Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) wurde mit der Aufgabe betraut, die sprachliche Frühförderung zu koordinieren. Als noch junges Ressort sieht man sich im Staatssekretariat allerdings nicht für die fehlende Überprüfung verantwortlich. „Da müssen sie Frau Ministerin Schmied fragen“, heißt es dort.

Im Zuge der Finanzierung der Länder sei aber im Herbst eine Sprachstandsfeststellung geplant. Die ersten Ergebnisse würden spätestens im Februar 2013 vorliegen, die erste vergleichende Auswertung im Winter 2013/14. Denn es könne nicht sein, dass man immens viel Geld in die Reparatur des Bildungssystems investiere, in die Frühförderung allerdings nicht – ebenso wie in die Evaluierung des Sprachstands. Für Kurz sei diese Maßnahme „ein sehr sinnvolles Investment“: Wenn man in die Kinder investiere, müsse man später weniger für Sozialleistungen aufwenden.

Im Unterrichtsministerium versucht man zu beschwichtigen: Natürlich gebe es flächendeckend Sprachstandsfeststellungen, die allen Kindergärten zur Verfügung stünden. Diese würden individuell durchgeführt, aber nicht zentral ausgewertet. „Es braucht sich also niemand darum zu sorgen, dass es nicht individuelle, auf jedes Kind eingehende, aber halt nicht so schlagzeilenträchtige Sprachförderung gibt“, heißt es weiter.

Die bisher letzte Erhebung stammt aus 2008 vom Bildungsinstitut Bifie, das vom Unterrichtsministerium beauftragt wurde, eine flächendeckende Sprachstandsevaluierung durchzuführen. Ergebnis: Ein Jahr vor Schuleintritt hat jedes vierte Kind sprachliche Defizite. „Nach 2008 bekamen wir – warum auch immer – keinen Auftrag mehr“, sagt Bifie-Direktor Günter Haider. „Ich würde es sehr befürworten, die Evaluierung wieder durchzuführen.“ Simone Breit, Herausgeberin dieser Studie, bestätigt: „Es gibt keine zentrale Erfassung der Daten. Wir stellen den Ländern nur Instrumente zur Sprachstandsüberprüfung zur Verfügung.“ Elisabeth Stanzel-Tischler vom Bifie Graz sieht die Lage ähnlich. Jeder Pädagoge würde zwar wissen, welchen Sprachstand die eigenen Schüler hätten. Von außen würden die Daten aber nicht gesammelt werden. Die Sprachstandsfeststellung aus 2008 sei laut Unterrichtsministerium deswegen einmalig gewesen, weil die Ergebnisse nicht jährlich von Relevanz – und außerdem sehr kostenintensiv seien. Und: Größere Intervalle bei der Erhebung seien sinnvoll, um die Entwicklung zu beobachten.

„In dem Moment, in dem man Maßnahmen ergreifen will, muss man auch Daten erheben“, sagt Bildungsexperte Erich Ribolits von der Uni Wien. Wenn es die Politik tatsächlich ernst meine, müsste sie diese Daten haben. „Aber vielleicht will man das auch gar nicht wissen“, so Ribolits. „Denn formelle Ergebnisse erfordern auch formelle Schritte.“ Solange die Situation noch „nebulos“ sei, bräuchte man keine konkreten Maßnahmen setzen. „Es ist sinnvoll, den Sprachstand der Kinder zu evaluieren – wie es das Bifie gemacht hat“, meint auch Inci Dirim, Professorin für Deutsch als Fremdsprache an der Uni Wien. Allerdings müsste man verstärkt darüber diskutieren, welche Konsequenzen man aus den Ergebnissen ziehe.

Oberösterreich zählt, Wien nicht

In den letzten Jahren lag es demnach an den Ländern, autonom den Sprachstand zu eruieren. Die Durchführung variiert dabei stark: In Oberösterreich werden Kinder, die eine Förderung benötigen, gemeldet: 3156 Vier- bis Fünfjährige wurden im letzten Jahr gezählt. In Vorarlberg wurde ein Fünfjahresbericht zur Kindergartenvorsorge durchgeführt, die aktuellen Zahlen werden im Juni bekannt. In Tirol gibt es seit mehreren Jahren das Projekt der mobilen Sprachförderung. Alle vierjährigen Kinder, die laut Sprachstands-Feststellungsverfahren eine Sprachförderung benötigen, werden von Sprachförder-Pädagogen unterstützt. Im Kindergartenjahr 2011/2012 waren etwa 1200 von 6600 Kinder in der mobilen Sprachförderung. Dass die Evaluierung allerdings noch lange nicht in jedem Bundesland erfolgt, zeigt das Beispiel Wien: Hier gibt es keine aussagekräftigen Zahlen über den Sprachstand der Schüler.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)


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