Schule: Zu wenig Wertschätzung für Türkisch

Schule macht mehrsprachige Kinder
Schule macht mehrsprachige Kinderc (Clemens Fabry)
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Niemand käme auf die Idee, ein Kind, das Englisch spricht aber nicht Deutsch, für nicht schulreif zu erklären, kritisiert Linguist Krumm. Bei den klassischen Migrantensprachen sei das hingegen sehr wohl der Fall.

In Österreichs Bildungssystem herrscht derzeit "Zwei-Klassen-Mehrsprachigkeit", kritisiert der Sprachwissenschafter Hans-Jürgen Krumm anlässlich der Tagung "Mehrsprachigkeit und Professionalisierung in pädagogischen Berufen" an der Uni Wien. Denn während Sprachen wie Englisch und Französisch als Garant für eine "ordentliche Bildungskarriere" gelten würden, gebe es für Migrantensprachen wie Türkisch kaum Wertschätzung.

"Niemand käme auf die Idee, ein Kind aus den USA, das Englisch, aber nicht Deutsch spricht, für nicht schulreif zu erklären. Bei Türkisch ist das hingegen ein ernsthaftes Argument", kritisiert Krumm. Die Folge dieser mangelnden Wertschätzung von Migrantensprachen: "Schule macht mehrsprachige Schüler einsprachig statt Einsprachige mehrsprachig."

Dabei, verweist Krumm auf Ergebnisse der Studie "Multilingual Cities", würden Kinder mit Migrationshintergrund oftmals sogar schon zwei oder drei Sprachen in Kindergarten und Schule mitbringen. Dazu komme die Absurdität, dass diese nicht-wertgeschätzten Migrantensprachen in der Wirtschaft eigentlich stark nachgefragt würden. Laut einer Studie verliere Österreich sieben Mrd. Euro an Exporterlösen, weil an den berufsbildenden Schulen nicht genug Sprachvielfalt angeboten werde. Der Linguist plädiert deshalb dafür, den derzeit in 23 Sprachen angebotenen muttersprachlichen Unterricht nicht nur auszubauen, sondern auch für Kinder deutscher Muttersprache zu öffnen.

Gegen getrennten Unterricht

Gleichzeitig wehrt sich Krumm gegen getrennten Unterricht von Kindern, die zu Schulbeginn nicht Deutsch können - vor allem, wenn es um ein verpflichtendes Vorschuljahr geht, wie Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) das fordert. "Wenn ein Kind in einer seiner Sprachen schulreif ist, kann ich erwarten, dass es den bisher fehlenden Kontakt durch etwas zusätzliche Förderung rasch ausgleicht", betont Krumm die "unglaublichen Sprünge" von Kindern bei der Sprachentwicklung. Dafür würde vielfach schon eine halbe oder eine Stunde pro Tag reichen. Die übrige Zeit sollten die Kinder in der Klasse verbringen, da sie in diesem Alter viel mehr von anderen Kindern als von Lehrern lernen würden. In einer Gruppe mit lauter Kindern, die nicht Deutsch können, sei das aber nicht möglich.

Für jene Kinder, bei denen aufgrund ihrer sozialen oder familiären Verhältnisse diese Art der Förderung nicht reiche, können separate Fördergruppen dennoch sinnvoll sein. Allerdings wehrt Krumm sich dagegen, dass diese Trennung dann gleich für ein Jahr erfolgt. "Dass eine Schulleitung in einer Viertel- oder halben Stunde entscheiden soll, ob ein Kind Sprachförderung braucht und ob es in die Vorschule gehen muss, halte ich für eine völlige Überforderung." Die massiven Unterschiede beim Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in den Vorschulklassen zwischen den Bundesländern sieht Krumm als Beleg dafür, dass es bei solch punktuellen Entscheidungen "gar nicht mit rechten Dingen zugehen kann". Krumm wünscht sich flexible Modelle, bei denen die Kinder, sobald die Kommunikation funktioniert, wieder in den Klassenverband kommen. Und die Entscheidung, ob jemand Sprachförderung braucht, müsse nach längerer Beobachtung in Kooperation mit den Kindergartenpädagoginnen getroffen werden.

Sprachen sind keine Inseln

Wie schon vorhandene Sprachkenntnisse sogar beim Deutschlernen behilflich sein können, erklärt Krumm am Freitag bei der Tagung an der Uni Wien. Denn: "Wenn ein Sprachlehrer weiß, welche Sprachen ein Kind schon kann, kann er das nutzen." Derzeit werde jede Sprache wie eine Insel für sich behandelt, was allerdings "lernökonomischer Unsinn" sei. Krumm hat deshalb mit einem deutschen Kollegen im Auftrag des Unterrichtsministeriums ein "Curriculum Mehrsprachigkeit" entwickelt, bei dem beim Deutsch- oder Englischlernen auf bereits vorhandenen Kenntnissen aus anderen Sprachen aufgesetzt wird - indem man die Sprachen, die die Kinder schon können, mit der neuen Sprache vergleicht oder Unterschiede herausarbeitet.

Das funktioniere dank guter Hilfsmittel auch, ohne dass der Lehrer selbst zwingend eine oder mehrere Migrantensprachen beherrsche, betont Krumm. Wenn die Lehrkraft dann auch noch ein paar Sätze oder Zahlen in der Muttersprache der Schüler einbaue, werde auch noch den Kindern signalisiert, dass sie ihre Sprache respektiere und sich dafür interessiere. Dabei, betont Krumm, gehe es nicht darum, den Unterricht umzukrempeln und den ganzen Tag damit zu verbringen, alle Sprachen der Klasse zu bearbeiten. "Es gibt Techniken, damit man das spielerisch und in kurzer Zeit machen kann."

Pflichtmodul zu Spracherwerb

Für die Zukunft erwartet sich Krumm in dieser Frage Verbesserungen: Einerseits, weil die Pädagogischen Hochschulen (PH), die Lehrer u.a. für Volks-, Haupt- und Neue Mittelschulen ausbilden, aktiv um mehr Studenten mit Migrationshintergrund werben würden, andererseits weil künftig mit der Reform der Lehrerausbildung vermutlich alle Pädagogen ein Pflichtmodul zum Thema Spracherwerb belegen müssen.

(APA)

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