Wiener Lesetest: Jeder fünfte Schüler liest schlecht

Wiener Lesetest Jeder fuenfte
Wiener Lesetest Jeder fuenfte(c) APA (ROBERT JAEGER)
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Die Risikoschüler finden sich vor allem in der Hauptschule – aber auch im Gymnasium gibt es sehr schlechte Leser. Positiv: Die spezielle Förderung hat gegriffen.

Wien. Die Ergebnisse des diesjährigen Wiener Lesetests sind ähnlich ernüchternd wie jene der Vorjahre – mit einem Hoffnungsschimmer. Rund jeder fünfte zehn- bis 14-jährige Schüler ist ein schlechter Leser. In der Volksschule ist die Gruppe der Risikoschüler um zwei Prozentpunkte zurückgegangen, bei den AHS- und Hauptschülern circa gleich groß geblieben – der scheinbare Rückgang in Zahlen hat mit einer geänderten Erhebungsmethode zu tun. Jeweils um die 40Prozent der Schüler sind – in der vierten wie auch in der achten Schulstufe – durchschnittliche und sehr gute Leser (siehe Grafik).

Für den Test wurden Ende Februar zum dritten Mal alle rund 15.000 Kinder der vierten Klasse Volksschule und 16.000 der vierten Klasse AHS bzw. Hauptschule getestet, dazu jene 2600, die 2012 in der Volksschule schlecht abgeschnitten hatten und seither gefördert wurden. Sie sind es auch, die für positive Nachrichten sorgen.

Geförderte schneiden gut ab

Die Kinder, die im Vorjahr zu den besonders schlechten Lesern gehörten und seitdem speziell gefördert wurden, schneiden heuer gut ab: Zu gut 60Prozent sind sie in eine höhere Lesestufe aufgestiegen, knapp vier Prozent sind nun sogar in der Gruppe der lesestarken Schüler. Das – und der leichte Rückgang bei den Risikoschülern in der Volksschule – zeigt, dass die Leseförderung greift, die aufgrund der schlechten Ergebnisse gestartet wurde. Dass es auch wirklich an den Fördermaßnahmen liegt – darunter etwa ein Lesecrashkurs zu Schulbeginn – bestätigt Bildungsforscher und Leseexperte Alfred Schabmann von der Uni Wien: „Es gibt keinen Grund, warum sich diese Schüler sonst so stark verbessern würden“ – denn ohne spezielle Förderung seien Leseschwierigkeiten ab Mitte der Volksschule kaum wegzubekommen.

Dass spezielle Förderung zentral ist, zeigt auch ein anderes Ergebnis: Die Zahl der schlechten Schüler in der AHS-Unterstufe oder Hauptschule ist deutlich höher als vier Jahre zuvor in der Volksschule. Das zeigt sich auch in den internationalen Tests PIRLS und PISA. Schabmann spricht vom umgekehrten Matthäus-Effekt: Wer früh schlecht liest, fällt ohne Förderung immer weiter zurück, nicht zuletzt, weil die Aufgaben stetig komplizierter werden und die Basis fehlt. Schabmann fordert daher auch mehr Leseförderung in der Sekundarstufe eins – wo übrigens auch manche AHS-Schüler Leseschwierigkeiten haben.

Der Großteil der sehr schlechten Leser ist wenig überraschend in den Hauptschulen zu finden: Knapp neun von zehn Risikoschülern in der achten Schulstufe sind Hauptschüler – erschreckend ist, dass aber immerhin zwölf Prozent Gymnasiasten sind. „Sehr wenige können damit erklärt werden, dass sie den Lesetest verweigern“, erklärt Rupert Corazza, Lesebeauftragter im Stadtschulrat. Bei vielen dürfte es aber daran liegen, dass ihre Deutschnoten in der Volksschule – die ja für den Übertritt in die AHS zentral sind – besser sind, als sie eigentlich sein sollten. Dass das ein größeres Problem ist, zeigt eine Detailauswertung aus dem Vorjahr: Jeder fünfte schlechte Leser hat demnach eine (zu) gute Note. Der Stadtschulrat will dem mit einer umstrittenen Maßnahme beikommen: Ab diesem Schuljahr fließen die Ergebnisse von 15 standardisierten Tests – darunter auch der Lesetest – in die Schulnoten der Kinder ein.

Dass es keine separate Auswertung zu den Lesekompetenzen von Migrantenkindern gibt – wie etwa bei den Bildungsstandards – erklärt der Stadtschulrat damit, dass der Lesetest grundsätzlich darauf abstelle, Infos für die individuelle Förderung der Schüler zu bekommen – und der Test keine Analyse des Schulsystems sei.

Die Opposition in Wien reagierte kritisch. Die Ergebnisse seien ein „Armutszeugnis“, dafür „würde sich jede westlich-fortschrittliche Stadt in Grund und Boden schämen“, sagte FPÖ-Bildungssprecher Dominik Nepp. Die Wiener VP-Bildungssprecherin Isabella Leeb meinte, die Tests müssten um ein Jahr vorverlegt werden, damit leseschwache Kinder bis zum Abschluss der Volksschule ihre Defizite ausgeglichen haben.

Harald Walser, Bildungssprecher der in Wien mitregierenden Grünen, liest dagegen aus dem Lesetest, dass „die Selektion der SchülerInnen nach der Volksschule aufgrund von Leistung offensichtlich gescheitert ist“. Für diese Sicht spreche, dass zwölf Prozent der Vierzehnjährigen mit Leseproblemen aus einer AHS kommen.

Auf einen Blick

Wiener Lesetest. Am Montag erhalten alle knapp 34.000 getesteten Schüler ihr Ergebnis. Anders als bei den Bildungsstandards geht das Ergebnis auch an Lehrer, Schulen und Bezirksschulinspektoren. Das Ergebnis soll auch in die Noten einfließen. Die Lesetests wurden Ende Februar durchgeführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2013)

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