Getrenntes Turnen wegen Muslimen?

Turnunterricht
TurnunterrichtClemens Fabry
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SPD-Politiker Steinbrück fordert, Buben und Mädchen aus religiöser Rücksicht nicht gemeinsam in Sport zu unterrichten. Österreich will den Streit nicht überschwappen lassen.

Berlin/Wien. Plötzlich war es still im Saal. Eben noch hat ein gut gelaunter Peer Steinbrück gewohnt schlagfertig „Klartext“ gesprochen, wie es der Name der Veranstaltungsreihe des SPD-Kanzlerkandidaten verspricht. Doch dann fragte ihn ein Schüler, wie er denn zur Forderung mancher Muslime stehe, beim Turnunterricht Buben und Mädchen zu trennen? „Wenn die Schulen das einrichten können, sollen sie das machen“ und damit „Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen“, antwortete Steinbrück spontan. Erst als er die Irritation im Publikum bemerkte, schwächte er etwas ab: „Aber da denkt vielleicht jeder anders.“

Wieder einmal ist der Frontmann der deutschen Sozialdemokraten im Wahlkampf in ein Fettnäpfchen getreten. Denn der gemeinsame Sportunterricht zumindest in der Volksschule steht längst nicht mehr zur Disposition. Es herrscht die Überzeugung vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein wichtigeres Grundrecht ist als die Erziehungshoheit der Eltern in religiösen Fragen.

Die Reaktionen kamen schnell. Für FDP-Innenpolitiker Serkan Tören wäre getrennter Unterricht ein „ganz falsches Signal“. Berlins langjährige Ausländerbeauftragte Barbara John von der CDU mokiert sich über eine „Diskussion von gestern“: „Kinder und Eltern müssen sich daran gewöhnen, dass die Geschlechter bei uns gemeinsam aufwachsen und gleichberechtigt leben.“ Auch die Grünen gehen auf Distanz.

So klar der politische Wille zur „Koedukation“, so bemüht zeigt sich die deutsche Justiz, Auseinandersetzungen mit Muslimen zu vermeiden. Kann ein Mädchen einen Gewissenskonflikt glaubhaft machen, hat es laut Judikatur einen Anspruch auf Befreiung vom gemeinsamen Turnunterricht – woran sich viele Schulen halten, wenn auch zuweilen widerwillig.

Auch in den österreichischen Volksschulen turnen Buben und Mädchen gemeinsam. Danach ist ein gemeinsamer Unterricht nur in Ausnahmefällen möglich, etwa in Sportschulen, bei Aktivitäten, bei denen es inhaltlich sinnvoll ist, wie Schwimmen und Tanz, oder wenn an einer berufsbildenden Schule ein Geschlecht deutlich in der Minderzahl ist. Deutschland geht da weiter: Auch zwischen zehn und 14 Jahren wird vielerorts gemeinsam der Leib ertüchtigt, öfter noch in der Oberstufe. Die deutschen Regelungen sind aber in jedem Bundesland anders, auch die einzelnen Schulen haben einen großen Entscheidungsspielraum.

Und wie steht es hierzulande mit den Forderungen mancher frommer Muslime? An diesem heiklen Thema will sich niemand die Finger verbrennen. Die Wiener Stadtschulratspräsidentin, Susanne Brandsteidl (SPÖ), möchte die Debatte nicht kommentieren. Es handle sich um eine deutsche Diskussion – und überhaupt: Der gesetzliche Rahmen sei Bundessache. Aus dem Büro von Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) heißt es schlicht: Im Bereich der Koedukation seien keine Änderungen geplant.

Schwimmen mit Burkini

Fuat Sanaç, Präsident der islamischen Glaubensgemeinschaft, hat damit kein Problem: „Wir sind mit der Regelung vollends zufrieden.“ Er kenne auch keinen einzigen Beschwerdefall, der das gemeinsame Turnen betrifft. „In Österreich ist die Debatte irrelevant“, sagt Sanaç.

Was so freilich nicht ganz stimmen kann. Immerhin hat man in Wien vereinbart, dass muslimische Mädchen den Schwimmunterricht in einem Bad absolvieren können, das zu diesem Termin für Frauen reserviert ist. Allerdings: In Anspruch nahm das stets nur eine kleine Gruppe von Schülerinnen. Und seitdem in Wiener Bädern der Burkini erlaubt ist – eine Art Ganzkörperschwimmanzug – sei dies laut Stadtschulrat auch obsolet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2013)

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